von Martin Günther, Senator für Justiz und Verfassung,
aus "Mauern öffnen: 40 Jahre Bildhauerwerkstatt in der JVA Bremen"
»Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.« Dieses Zitat von Paul Klee trifft auf die künstlerische Betätigung von Gefangenen in ganz besonderer Weise zu. Kunst setzt
verborgene Energien frei, öffnet neue Horizonte und schafft Perspektiven, die bekannte Bahnen durchbrechen. Und Kunst ist immer auch ein Fenster in die eigene Gefühlswelt. Erfahrungen, Gedanken
und Gefühle auf künstlerische Weise zu verarbeiten, fällt vielen Gefangenen ebenso wie anderen Menschen auch leichter, als darüber zu sprechen. Als Träger der Bildhauer Werkstatt in der JVA
Bremen hat sich der Verein »Mauern öffnen e.V.« daher nicht zufällig die Rose auf der Schildkröte zu seinem Logo erkoren. Wie die Rose den Panzer der Schildkröte durchbricht, so durchbricht und
öffnet die Kunst den emotionalen Panzer vieler Gefangener.
Seit 40 Jahren ermöglicht die Bildhauerwerkstatt in der JVA Bremen den Gefangenen, auf künstlerischem Wege ihre Hafteindrücke zu verarbeiten, vor allem aber auch, Antworten auf
sie beschäftigende Fragen zu finden und Fähigkeiten zu entdecken und zu entwickeln. Durch die künstlerische Arbeit können die Gefangenen sich kennenlernen, sie lernen, sich mitzuteilen und sie
üben Achtsamkeit den anderen und ihrer Arbeit gegenüber. Unter künstlerischer Anleitung werden Arbeitsgrundlagen wie konzentriertes Arbeiten, Teamfähigkeit und das Einhalten von Regeln
vermittelt. Hinzu kommt, dass viele Gefangene erst durch die Kunst eine zuvor nicht gekannte Wertschätzung erfahren und sich - vielleicht sogar erstmals in ihrem Leben - über Erfolgserlebnisse
freuen können. Und schließlich bietet Kunst ein kleines Stück innerer Freiheit, wo sonst hohe Mauern, Gitter und strenge Regeln den Alltag bestimmen.
Die Bildhauerwerkstatt in der JVA Bremen wird damit dem Resozialisierungsauftrag des Strafvollzuges in besonderer Weise gerecht. Wo andere Maßnahmen versagen, gelingt es den
Künstlerinnen und Künstlern der Bildhauerwerkstatt regelmäßig, auch schwierige Charaktere zu integrieren und erstmals schöpferische Kräfte den zerstörerischen entgegenzusetzen. Es zeigt sich:
Die künstlerische Betätigung in der Bildhauerwerkstatt ist mehr als eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung. Der Erfolg der seit 1978 bestehenden Bildhauerwerkstatt und ihr Modellcharakter sind
sogar so groß, dass sie 2001 zunächst um eine Jugendwerkstatt und dann 2006 um eine Außenwerkstatt erweitert wurde. Und die Bildhauerwerkstatt ist nicht auf den Resozialisierungsauftrag des
Vollzuges oder einen etwaigen Therapieauftrag beschränkt. Als Produktionsbetrieb wird hauptsächlich für den öffentlichen Raum in Bremen gefertigt.
Die Ausstellung der von den Gefangenen gefertigten Kunstwerke im Rahmen von »Kunst im öffentlichen Raum« macht der Öffentlichkeit den Justizvollzug in ganz besonderer Weise
zugänglich. Auf Plätzen und in Parks, vor öffentlichen Gebäuden oder auch im Garten vor den eigenen vier Wänden ausgestellt, sind die Kunstwerke gleichsam Botschafter des Justizvollzuges. Sie
heben das Leben der Gefangenen hinter den Mauern des Gefängnisses hervor und zeigen und betonen die den Gefangenen innewohnende, positive Schaffenskraft. An die Stelle eines strafenden und
vielleicht auch schamvollen Wegsperrens hinter Gittern tritt so die positiv-gestaltende Arbeit der Gefangenen im ganzen Stadtbild. Die Kunst im Stadtbild eröffnet so einen völlig neuen
Blickwinkel auf den Justizvollzug. Die Kunstwerke bieten im besten Sinne eine Reibungsfläche zur Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit.
Ich gratuliere der Bildhauerwerkstatt zu ihrem 40-jährigen Bestehen ganz herzlich. Sie ist ein Beispiel für innovative Ansätze im Justizvollzug und führt uns mit ihrem Erfolg
auf ganz vielfältige Art und Weise vor Augen, wie sehr es sich lohnt, aus bekannten Bahnen auszubrechen. Den Künstlerinnen und Künstlern, den Ehrenamtlichen des Vereins »Mauern öffnen e.V.«, den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Justizvollzuges und des Senators für Kultur danke ich sehr für die seit Jahrzehnten geleistete, hervorragende Arbeit! Ich bin sicher, dass die
Bildhauerwerkstatt in der JVA Bremen auch in den nächsten 40 Jahren als ein Leuchtturm des Justizvollzuges immer neue Impulse für die Straffälligenarbeit setzen wird.